Die wilde Meute

Denn sie wissen genau, was sie tun

"Clockwork Orange" all'italiana: Teil 4 der "Grindhouse Collection Vol. 2" von Subkultur Entertainment präsentiert Marcello Andreis sozialkritischen Jugendgang-Reißer mit Warhol-Muse Joe Dallessandro in der Rebellenrolle als HD-Weltpremiere.

"Wenn er alt genug ist, werde ich ihm erklären, in was für einer Scheißwelt wir leben und was er tun muss, um Respekt zu bekommen." Das Einzige, das Piero (Joe Dallesandro) zur Erziehung seines gemeinsamen Kindes mit der Prostituierten Rossana (Magali Noel) beiträgt, sind markige Sprüche, die seine Ablehnung des gesellschaftlichen Systems widerspiegeln. Ansonsten verbringt der smarte Kleinganove seine Zeit damit, mit seiner fünfköpfigen Bande die Straßen Roms zu terrorisieren (siehe Video unten) und durch Einbrüche sein asoziales Dolce Vita zu finanzieren. Muss die Polizei dem provozierenden Treiben der jugendlichen Delinquenten anfangs tatenlos zusehen, kann der verbitterte Kommissar Katroni (Martin Balsam) den Druck erhöhen, als Piero seine schwangere Geliebte Sandra (Cinzia Mambretti) durch eine Gruppenvergewaltigung in den Selbstmord treibt und es nach einem missglückten Überfall innerhalb der Gang zu tödlichen Spannungen kommt. Doch statt Einsicht zu zeigen, schlägt Piero die Resozialisierungsversuche des idealistischen Geistlichen Pater Eugenio (Rossano Brazzi) in den Wind ("Ich soll mir den Arsch abrackern, damit ich wie mein Alter irgendwann im Altenheim lande? Ich will mein Leben hier und jetzt genießen!") – und besiegelt damit sein Schicksal.

Wenn es die schön schmierige deutsche Kino-Synchro nicht gäbe und der exzellent bildbearbeitete Film nicht wahlweise mit einer vorgeschalteten Retro-Trash-Trailer-Show genossen werden könnte, würde "Die wilde Meute" im Vergleich zu den Vorgängerfilmen der zweiten "Grindhouse Collection" gehörig aus dem vorgegebenen Bahnhofskino-Rahmen fallen. Auf den Spuren des italienischen Neorealismus zeichnet Regisseur Marcello Andrei das pessimistische Gesellschaftsportrait einer entwurzelten Jugend, das zwar mit vereinzelten, von psychedelischen Synthesizer-Kaskaden des Komponisten Alberto Verrechia unterlegten Exploitation-Einschüben gespickt ist, seine stärksten Momente aber im dramatischen Konflikt der Generationen sowie in den psychoduellhaften Konfrontationen zwischen den auf unterschiedliche Weise verblendeten Stellvertretern staatlicher und kirchlicher Macht hat. Inwieweit Andreis Sozialdrama, das im Original übersetzt "Die Zeit der Mörder" heißt, in der Tradition des in den 50er Jahren erstmals auftauchenden 'Juvenile Delinquent"-Genres steht und mit artverwandten Produktionen wie "San Babila, 20 Uhr" oder "Wie tollwütige Hunde" die spezifische italienische Lebensrealität während der gesellschaftserschütternden "Herrschaft des Terrors" in den 70er Jahren kommentiert, analysiert ein lesenswertes Booklet, das der Blu-ray-DVD-Combo als zusätzliches Extra beiliegt. Darin findet sich auch ein exklusives Interview mit dem einstigen Aktmodel Joe Dallesandro, der nach seinem Kinodurchbruch als Hingucker in den Filmen der Andy-Warhol-Factory eine zeitlang in Europa sein schauspielerisches Glück versuchte und diese Zeit anekdotenreich Revue passieren lässt. Wann und mit welcher vergessenen Genreperle es in der famos abwechslungsreichen "Grindhouse"-Reihe weitergeht, erfährt Fan auf der Facebook-Seite von Subkultur Entertainment

 

"Die wilde Meute" (Originaltitel: "Il tempo degli assassini") – Italien, 1975 (102 Min.)