Sexkapaden unterm Hakenkreuz
Nackte Geschichtsschreibung: Die opernhafte Amour fou zwischen einer venezianischen Beamtengattin und eines jüngeren SS-Offiziers von Italiens Kino-Erotomanen Tinto Brass ("Caligula") feiert seine deutsche HD-Heimkinopremiere.
Die letzten Jahre des europäischen Faschismus scheinen es Tinto Brass besonders angetan zu haben. Nach "Salon Kitty" (1976) und "Der Schlüssel" (1983) verwandelt der profilierte Erotikfilmer
diese Phase des historischen Epochenwechsels für "Black Angel" zum dritten Mal in eine kurz vor der Explosion stehende Schaubühne zwischenmenschlicher Leidenschaft.
Dafür verlagert Brass die während des Italienisch-Österreichischen Krieges von 1866 spielende Handlung der Romanvorlage von Camillo Boito ins Venedig des Jahres 1945. Während einer von Partisanen
gestörten Theateraufführung verfällt Livia Mazzoni (Anna Galiena) der virilen Machismo-Ausstrahlung des blonden SS-Offiziers Helmut Schultz (Gabriel Garko). Die frustrierte Beamtengattin beginnt
mit dem deutlich jüngeren Kulturattaché eine stürmische Affäre und lässt es sich im Glauben an die große Liebe gerne gefallen, dass sich der spielsüchtige Lebemann von ihr finanziell
aushalten lässt. Dass sie ihr opportunistischer Nazi-Tomboy nur schamlos ausnutzt, wird Livia schlagartig klar, als sie ihren Helmut im Bett mit einer anderen erwischt. Ein intimer
Vertrauensbruch, den man an einer italienischen Frau lieber nicht begehen sollte...
Die opernhafte Dramatik des "Black Angel"-Plots verpackt Tinto Brass in einen Reigen opernhafter Tableaus, der – unterlegt von Ennio Morricones opulentem Streicher-Score –
zwischen Schwarzweiß- und Farbaufnahmen hin und her wechselt und auf der neuen Blu-ray von cmv-Laservision in gestochener Schärfe ins Auge springt. Während Luchino Visconti die
literarische Vorlage bereits 1954 unter dem Titel "Sehnsucht" werkgetreu als historisches Melodram verfilmt hat, schwelgt sein Nachfolger in elegant und lustvoll inszenierten
Liebesspielsequenzen, in denen die damals 48-jährige Galiena regelrecht aufzublühen scheint. Warum Tinto Brass als po-fixierte Italo-Antwort auf Busenfilmer Russ Meyer gehandelt wird, zeigt
sich ab der 72. Minute, wenn sich Livia vollends dem lasterhaften Treiben ihres Lovers hingibt und ihn auf eine dekadente Privatfeier begleitet. Brass inszeniert diesen entfesselten
Tanz auf dem Vulkan als burleske Naziploitiation-Orgie, in der nicht nur reichlich Gesäßrundungen, sondern auch ein paar explizite Hardcore-Situationen zu bewundern sind. Auf dem als Bonus
enthaltenen Making-of nimmt der heute 82-jährige Mailänder dazu treffend Stellung: "Das Kino schuldet der Erotik sehr viel. Ich versuche, diese Schuld zu begleichen." Mille grazie,
signore Brass!
"Black Angel" (Originaltitel: "Senso '45") – Italien, 2002 (127 Min.)