Pulsion

Der weiblichen Lust auf der Spur

Sie wollen es doch auch: Am augenzwinkernden Beispiel einer experimentierfreudigen Selbsthilfegruppe erforscht die feministische Pro-Porn-Aktivistin Ovidie ("Sex Stories") verschiedene Spielarten sexueller Triebhaftigkeit.

Eva (Emy Russo) hat es wirklich nicht leicht. Mehrmals täglich wird die hübsche Büroangestellte vom unkontrollierbaren Drang übermannt, sich einen Orgasmus verschaffen zu müssen. Verzweifelt sucht Eva einen Sexualtherapeuten auf, der ihr eröffnet, dass sie an einer Form "persistenter genitaler Erregungsstörung" leidet, und ihr nahelegt, an einem einwöchigen Gruppenseminar teilzunehmen. Die rothaarige Bombshell willigt ein und begegnet in einem idyllisch gelegenen Landhaus neun anderen Patienten, deren sexualpathologischen Befunde von Voyeurismus über Exhibitionismus und Schamhaarfixierung bis Nymphomanie reichen. Klassischer Sexfilmlogik folgend resultiert dieses Gipfeltreffen der Lüste in diversen heimlichen Eskapaden, wenn der von eigenen Crossdress-Phantasien getriebene Therapeut mal nicht so ganz bei der Sache ist. Eva indes lässt sich vom gruppendynamischen Reigen nicht anstecken und konzentriert ihre Libido lieber auf einen stattlichen Kerl, in dessen traurigen Augen sie erkennt, dass er unter seiner Asexualität leidet. Gegensätze ziehen sich schließlich an – und letztendlich auch aus...

Weiß, wovon sie dreht: Ovidie in einstiger Arbeitskleidung
Weiß, wovon sie dreht: Ovidie in einstiger Arbeitskleidung

"Pulsion – Lebe Deinen Trieb!" als smarte Artcore-Interpretation des Lustprinzips der Freudschen Triebtheorie zu bezeichnen, wäre sicherlich übertrieben. Dafür kommen die rudimentäre Story zu schlicht und die schauspielerischen Fähigkeiten des aus französischen Hardcore-Darstellern rekrutierten Casts zu limitiert daher. Dass es trotzdem lohnt, dieses explizite Lustspiel in Augenschein zu nehmen, ist dem persönlichen Werdegang und künstlerischen Programm seiner Regisseurin geschuldet. Zwischen 1998 und 2002 stand Eloise Becht unter ihrem Pseudonym Ovidie in etwa 60 Pornofilmen vor der Kamera und avancierte zu den großen Adultfilmstars der Grande Nation. Ein exhibitionistischer Selbstversuch, den die damalige Philosophiestudentin und anarchistische Feministin verprellt von der dogmatischen Lustfeindlichkeit ihrer ideologischen Mitstreiterinnen in Angriff genommen hatte, um sich von der verteufelten Sexfilmindustrie ein eigenes Bild machen und einen frauengerechten Gegenentwurf entwickeln zu können. Begleitet von der Buchveröffentlichung ihres "Porno Manifesto" begann die in Lille geborene Französin, ab der Jahrtausendwende eigene Filme wie die von Donau Film veröffentlichte "Sex Stories"-Trilogie zu inszenieren, in denen nicht akrobatische Hochleistungspenetration, sondern die Freude am Sex im Vordergrund steht. Ovidies feministische Pornotheorie, die von Annie Sprinkle und anderen Aktivistinnen der "Post-Porn-Modernist"-Bewegung inspiriert ist, wird in einem 2005 mit dem :Ikonen Magazin geführten Interview deutlich. Darin kanzelt die heute 34-jährige Filmemacherin am Beispiel von Michael Winterbottoms "9 Songs" unsimulierten Sex in Mainstreamproduktionen als "soften Bullshit" ab, da realer Sex im Arthousekino niemals stimulierend erotisch dargestellt werden darf, weil sonst das Kunst-Gütesiegel flöten geht. Insofern verwundert es wenig, wenn in "Pulsion" neben zwei extrem sinnlich inszenierten Sexszenen mit der extrem sinnlich performenden Hauptdarstellerin Emy Russo u. a. auch ein flotter Männerüberschuss-Dreier zu sehen ist, der gemessen an seiner Stellungsdramaturgie auch einem Gonzo-Porno entsprungen sein könnte – wenn die nachts unter freiem Himmel gedrehte Szene nicht ausschließlich von drei Taschenlampen beleuchtet wäre. Dass Frauen eben nicht nur auf Blümchensex stehen, bekommt allerdings nur in voller Pracht präsentiert, wer sich die europäische "Pulsion"-Heimkinopremiere von Intimatefilm in der ungeschnittenen Erotikhandelfassung besorgt. Warum Ovidies vom französischen Kabelsender Canal+ produzierten Film uncut eine FSK-18-Freigabe verwehrt geblieben ist, mag angesichts der ungeschönten ästhetischen Ansprache nachvollziehbarer sein als bei den durchkomponierten Kurzfilmphantasien einer Erika Lust ("XConfessions"). Trotzdem stellt sich auch beim jüngsten Werk der zweifachen "Feminist Porn Awards"-Gewinnerin die Frage, ob es nicht endlich auch hierzulande an der Zeit wäre, erwachsenen Käufern von Filmen, die mehr sein wollen als eine reine Masturbationsvorlage, den Gang in den Sex-Shop zu ersparen. 

 

"Pulsion – Lebe Deinen Trieb!" (Originaltitel: "Pulsion") – Frankreich, 2013 (uncut: 87 Min.)