Du bist, was Du isst
Guten Appetit: In dieser krassen Heimkinopremiere lässt Regiedebütant Jimmy Weber eine autokannibalisch veranlagte Schauspielerin den Begriff "Erfolgshunger" schmerzlich wörtlich
nehmen.
Novella McClure (Meggie Maddock) hat den Namen und das Aussehen für eine Schauspielkarriere – nur scheint das in Hollywood bis auf Pornoproduzenten keinen zu interessieren. In ewig gleicher
Routine widmet sich die Anfang-Dreißigjährige morgens nach dem Aufwachen den obligatorischen Verschönerungsritualen, fährt von einer Casting-Enttäuschung zur nächsten, vertröstet
ihre durch die Blume mit Rauswurf drohende Vermieterin auf den nächsten bezahlten Job und lässt sich abends in Clubs mit ihrer besten Freundin Candice (tolles Schauspieldebüt: Ali Frances) von
irgendwelchen Type die Drinks bezahlen. Während Candice sie bedrängt, ihren großen Traum nicht aufzugeben, weiß Novella tief in ihrem Inneren, dass dieser Traum längst ausgeträumt ist. Nach einem
erneuten Rückschlag knabbert sie während der Autofahrt am Daumen und fängt unbewusst an, dem verdrängten Gefühl des Selbstbetrugs drastisch entgegen zu wirken. Von der selbst zugefügten
Verletzung geschockt und fasziniert zugleich, beginnt Novella, in Stresssituationen ihr eigenes Fleisch zu essen und die Verbände gegenüber ihrem privaten Umfeld als Resultat eines
Autounfalls zu verkaufen. Bis eine aufkeimende Liebesbeziehung zu ihrem Therapeuten einen empfindlichen Dämpfer erfährt und es für ihren autoaggressiven Drang kein Halten mehr
gibt.
Wer schwache Nerven hat, sollte um die von Monster Makeup FX grandios getricksten und mit fieser Störgeräuschmusik unterlegten Autokannibalismus-Szenen einen weiten Bogen machen. Dass die FSK gegen eine Uncut-Veröffentlichung nichts einzuwenden hatte, obwohl im Vergleich zu Marina de Vans themenverwandten "In My Skin" in "Eat" weitaus mehr Exploitation- als Arthouse-Psychogramm steckt, ist löblich und mehr als angemessen. Indem Regisseur Jimmy Weber beim Verfilmen seiner eigenen Kurzgeschichte gleich zu Beginn in werbeästhetischen Bildern schwelgt, funktioniert sein geschmeidig inszeniertes Spielfilmdebüt auch als smartes Sinnbild für den Schauspielberuf, in dem bekanntlich schöner Schein, Narzissmus und Selbstzerstörung nah beieinander liegen können. Dass "Eat" dabei nicht in tragische Dramatik abrutscht, sondern einen schwarzhumorig angehauchten Unterton beibehält, ist vor allem der famosen Schauspielleistung von Meggie Maddock zu verdanken, die trotz Novellas zunehmend eskalierender Verhaltensauffäligkeit stoisch den Schein der Normalität zu wahren versucht. Zwar schießt Weber im letzten Filmdrittel etwas über das Ziel hinaus, wenn er zwecks Zuspitzung des sich anbahnenden Showdowns auch Freundin Candice eine obsessive Persönlichkeitsstörung angedeihen lässt, entschädigt den Zuschauer aber mit einem starken Schlussbild: Im blutigen Ende dringt Novella buchstäblich zu ihrem inneren Kern vor und blickt mit einem Anflug von Glückseligkeit in die Kamera. Selten wurde im Genrekino der Prozess der Selbstfindung so verstörend schön auf den metaphorischen Punkt gebracht.
"Eat" (Originaltitel: "Eat") – USA, 2014 (91 Min.)