Je oller desto doller
Let's talk about gonzo-sex: Im jüngsten Teil seiner provokanten "Frankreich privat"-Reihe nimmt uns das Label Pierrot le fou mit auf die Selbstversuchreise des 69-jährigen Regisseurs Jean-François Davy in den wilden Osten.
Obwohl der französische Filmemacher Jean-François Davy in seiner Mitte der 1960er Jahre begonnenen Karriere auch Thriller, Dramen, Komödien und sogar ein Sci-Fi-Abenteuer inszeniert hat, steht im
Zentrum seines Schaffens ein nahezu fetischistisches Interesse an Sexualität und der Erotik des weiblichen Körpers. Beginnend mit dem Filmportrait "Exhibition" über Frankreichs damalige
Porno-Queen Claudine Beccarie drehte Davy in den 1970ern eine Reihe expliziter Dokumentationen über die Sexindustrie. Mit "Transgression" (so der unaufgeregtere Originaltitel von
"Sex-Casting mit Jean-François") setzt der bekennende Erotomane diese dokumentarische Tradition fort – mit einem elementaren Unterschied: Im Bestreben, einen "Film in der ersten Person"
zu drehen, macht er sich selbst zum Gegenstand.
Und so begleitet der Zuschauer Davy auf seinem Trip in die heutigen Hochburgen der Pornowirtschaft, um in Prag und Budapest das perfekte Mädchen für sein Filmprojekt zu finden. Dass man es dabei nicht mit einem Gonzo-Hardcore-Lustspiel a la "Rocco Siffredi Ravishes Prague" zu tun hat, wird angesichts zahlreicher fleischlicher Testläufe und Sprüchen wie "Dies wird ein Film über Voyeurismus und Exhibitionismus - zeig uns mal Deine Muschi!" erst mit Blick auf die Inszenierung deutlich. Die (abgesoftet oder out-of-frame präsentierten) Geschlechtsakte werden immer wieder mit kunstvoll schwelgerischen Close-ups der jeweiligen Schönheiten überblendet, was angesichts der nicht wirklich ästhetischen Erscheinung des 69-jährigen Selbst- und Nacktdarstellers sehr zu begrüßen ist. Als Davy nach ungefähr der Hälfte der Laufzeit mit dem ungarischen Pornostarlet Kitty Kat die Idealbesetzung für sein Projekt gefunden hat, eine "ungekünstelte sexuelle Liebesbegegnung zwischen Mann und Frau" zu filmen, begleitet ein durchgehender Off-Kommentar das intime Geschehen, in denen der Regisseur den gesellschafts- und kunstkritischen Ansatz seines Projekts erläutert – und damit den mit "Grenzüberschreitung" übersetzbaren Originaltitel zum Motto macht.
Davys interaktive "Suche nach der ultimativen Freiheit des Filmemachers" ist eine transgressive Versuchsanordnung, die in der Kunst immer wieder mal in die explizite Tat umgesetzt wird, beispielsweise in den Bildern des Skandalfotorgrafen Terry Richardson (siehe oben). Ob es sich beim "Sex-Casting mit Jean-Fraçois" aber um die provokante Hinterfragung eines puritanischen Moraldiktats oder doch nur um die aufklärerisch verbrämte Selbstdarstellung eines Lüstlings handelt, der zeigen will, dass er's selbst im dritten Frühling noch voll drauf hat, muss jeder für sich selber entscheiden.
"Frankreich privat - Sex-Casting mit Jean-François" (Originaltitel: "Transgression") - Frankreich, 2014 (98 Min.)