German Angst

Der Tod ist ein Meister aus Deutschlands Underground

Aller bösen Dinge sind drei: Im Episodenprojekt der deutschsprachigen Genrefilmer Jörg Buttgereit, Michal Kosakowski und Andreas Marschall nimmt der Schlüsselsatz aus Paul Celans "Todesfuge" die zeitgenössische Gestalt urbanen Grauens an. 

Episode 1: "Final Girl" (Regie: Jörg Buttgereit)

Gleich zum Auftakt macht "Nekromantik"-Regisseur Buttgereit deutlich, dass der komplett unabhängig und via Crowdfunding finanzierte Kompilatonsfilm "German Angst" mit der leicht verdaulichen Horrorkost des Multiplex-Mainstreams nichts zu tun hat. Erzählt wird die brutale Selbstbefreiung eines jungen Mädchens (Lola Gave), die mit somnambuler Ruhe den Auszug aus der verwahrlosten Elternwohnung vorbereitet und zwischendurch ihrem ans Bett gefesselten Erzeuger (Axel Holst) mit Geflügelschere und elektrischem Tranchiermesser drastisch zu Leibe rückt. Die in der abgestandenen Luft des deprimierenden Schauplatzes hängende Missbrauchsvorgeschichte verlagert Buttgereit auf eine metaphorische Ebene, indem er sein Final Girl aus dem Off über die unsachgemäße Haustierhaltung von Meerschweinchen dozieren lässt. Abgebildet wird das häusliche Grauen mit extremen Nahaufnahmen, die zwischen Poesie und experimentellem Formalismus oszillierend eine raue Unmittelbarkeit erzeugen und so den klaustrophobischen Mief hinter den Mauern deutschen Spießbürgertums regelrecht spürbar machen.

Episode 2: "Make a Wish" (Regie: Michal Kosakowski)

Einen qualitativen Einbruch erlebt "German Angst" mit dem Mittelstück des in Polen geborenen Regisseurs Kosakowski, der auch als ausführender Produzent des ambitionierten Projekts fungiert. In seiner plakativen Episode wird das Taubstummen-Pärchen Kasia (Annika Strauss) und Jacek (Matthan Harris) in einer Fabrikruine von vier rechtsextremen Hooligans malträtiert. Die einzige Hoffnung auf Rettung bietet ein magisches Seelentausch-Amulett, mit dessen Hilfe Jaceks Großmutter dereinst einen Überfall der Waffen-SS auf ihr Dorf überlebt haben soll. So angemessen es ist, ideologischen Hass als wiederkehrende Geißel der Menschheit darzustellen, so bemüht kommt Kosakowskis belehrende Versuchsanordnung daher, zwischen historischem und Neo-Naziterror eine lineare Verbindung herzustellen. Darüber hinaus ist der Auftritt der zeitgenössischen Bestien in Menschengestalt derart hysterisch geraten, dass starke Schauspielleistungen wie von Andreas Pape als Rädelsführer regelrecht erstickt werden. Ein unangenehm realistisches Schreckensszenario, das leider nicht verstörend, sondern nur angestrengt wirkt.

Episode 3: "Alraune" (Regie: Andreas Marschall)

 Gut, dass "German Angst" mit seinem inszenatorischen Highlight endet, das zwar bis auf den Schauplatz Berlin keinerlei inhaltlichen Bezug zum titelgebenden Thema aufweist, mit seiner berauschenden Bildsprache aber einen faszinierenden Bogen zur expressionistischen Phantastik der Weimarer Republik schlägt. "Tears of Kali"-Regisseur Marschall erzählt im Schlusskapitel die fiebrige Lust- und Leidensgeschichte des Fotografen Eden (Milton Welsh), der in einer Underground-Disco der verführerischen Tänzerin Kira (Kristina Kostiv) verfällt und ihr zu einem mysteriösen Privatclub folgt. Von dessen Betreiber Petrus (Rüdiger Kuhlbrodt) wird Eden im korrekten Genuss der Alraune-Wurzel unterwiesen, die geraucht zu sexuellen Ekstasen ungeahnter Intensität verhilft. Das angefixte Neumitglied muss jedoch schnell feststellen, dass den ein böses Erwachen erwartet, der sich nicht an die Regel hält. Mit analogen Bildverfremdungstechniken und handgemachten Spezialeffekten kreiert Marschall eine mitreißende Schauerparabel auf die Obsessivität männlicher Sexualphantasien – erotisch, abgründig und im wahrsten Wortsinne monströs.

Das Trio der Angst: Andreas Marschall, Jörg Buttgereit und Michal Kosakowski
Das Trio der Angst: Andreas Marschall, Jörg Buttgereit und Michal Kosakowski

Zusammengehalten werden die drei Episoden von unheilvollen Berlin-Impressionen, die von den Regisseuren mit Super-8-Kameras gedreht wurden. Gleiches gilt für das Behind-the-Scenes-Material, das mit Musik unterlegt als Bonus-Clip faszinierenden Stummfilmcharakter verströmt und wie der überraschend ungeschnitten durch die FSK gegangene Hauptfilm eindrucksvoll belegt, dass "German Angst" einer künstlerischen Underground-Gesinnung und keinem kommerziellen Kalkül entspringt. Wer eines der limitierten Mediabooks ergattert, das vom Label Pierrot le fou als Teil 5 seiner "Uncut"-Reihe veröffentlicht worden ist, wird nicht nur mit dem weitaus cooleren Cover-Artwork belohnt, sondern darf sich auch auf ausführliche Stellungnahmen des Regie-Dreigestirns freuen. In ihrem Audiokommentar und einem ausführlichen Booklet-Interview geben Buttgereit, Kosakowski und Marschall mitteilsam Auskunft über die Produktionshintergründe und machen u. a. das Spannungsfeld zwischen Illusion und Wirklichkeit in allen drei Episoden als unbeabsichtigtes Leitmotiv aus. Abgerundet werden die analytischen Ausführungen durch ein fundiertes Essay des Filmgelehrten Dr. Marcus Stiglegger, der "German Angst" in seinen historischen und ästhetischen Kontext einordnet. Insgesamt also ein lesens-, hörens und sehenswertes Genre-Kleinod aus deutschen Landen. Geht doch! 

 

"German Angst" (Originaltitel: "German Angst") – Deutschland, 2015 (111 Min.)