Tödliche Umarmung

Wenn Hitchcock zur Räuberpistole greift

Aus der Rubrik "HD-Premieren vergessener Klassiker": In diesem Frühwerk von "Das Schweigen der Lämmer"-Regisseur Jonathan Demme durchleben Roy Scheider und Janet Margolin einen Agentenreißer der etwas anderen Art.

Dass Jonathan Demme seine offenkundige Hitchcock-Hommage im Rückblick eine "düstere Romanze" nennt, hat durchaus seine Berechtigung. Basierend auf dem Roman "The 13th Man" von Murray Teigh Bloom entspinnt das Drehbuch von David Shaker ("Nachtfalken") eine exzentrische Amour fou im Suspense-Gewand. Roy Scheider spielt darin den traumatisierten Geheimagenten Harry Hannan, der nach der Ermordung seiner Frau im Sanatorium landet. Frisch entlassen entkommt Harry nur um Haaresbreite einem Mordanschlag und glaubt, auf der Abschussliste seiner eigenen Organisation gelandet zu sein. Seine Paranoia wird zusätzlich angestachelt, als ihn in seinem New Yorker Apartment nicht nur eine in die angeblich frei gewordene Wohnung eingezogene Studentin namens Ellie (Janet Margolin), sondern auch ein Drohbrief erwartet, in dem in biblischem Alt-Aramäisch der "Rächer des Blutes" angekündigt wird. Während Harrys bleihaltige Nachforschungen ergeben, dass bereits fünf andere Männer mit jüdischen Wurzeln diese Botschaft erhalten haben und danach eines mysteriösen Todes gestorben sind, kommen sich der wenig zimperliche Agent und seine unverhoffte studentische Hilfskraft immer Näher. Doch ist Ellie wirklich die brave Akademikerin, die sie zu sein vorgibt?

Wenn die 1993 leider viel zu früh verstorbene Janet Margolin im Film ihr wahres (und äußerst erotisches) Rollengesicht zeigt, macht "Tödliche Umarmung" einen verblüffenden Räuberpistolen-Twist, der die "Marathon-Mann"-artige Grundstimmung vor dem dramatischen Showdown an den Niagara Fällen in ein lustvolles Kolportage-Korsett zwängt. Neben einem famosen Kurzauftritt von Christopher Walken als kaltblütig bürokratischer Geheimdienstchef, der seinen Text direkt in die Kamera spricht, ist es vor allem Demmes mitreißend formalistischer Regiestil, der zu begeistern weiß. Mit rasant dahingleitender Steadycam und durchkomponierter Blicklenkung verleiht er nicht nur der Paranoia der Hauptfigur zusätzliche Ausdruckskraft. Er zelebriert damit auch die Sogwirkung erzeugende Suspense-Bildsprache seines Idols Alfred Hitchcock. An die Filme des Großmeisters erinnert darüber hinaus der Score von Miklós Rózsa, der mit zuweilen überraschend melodramatischem Gestus die Streicherklänge von Hitchs Stammkomponisten Bernard Herrmann beschwört. Auch wenn die in der "Silver Line"-Reihe des Labels OFDb Filmworks erschienene Blu-ray keinerlei Extras und ein nicht sonderlich berauschendes Bild bietet, ist es aus Cineasten Sicht sehr zu begrüßen, dass diese ungewöhnliche Thrillerperle für den deutschen Heimkinomarkt wiederentdeckt wurde. Mehr davon!

 

"Tödliche Umarmung" (Originaltitel: "Last Embrace") – USA, 1979 (102 Min.)